Interview: Oliver Sittl (Believe Digital)

Viele Musiker haben Schwierigkeiten, das Modell „Streaming“ zu verstehen und halten es deshalb für schlecht. Dennoch gibt es auch begründete Sorgen mit Blick auf das Konsumverhalten der Musik- und eben Streamingnutzer. Oliver Sittl ist Senior A&R / Regional Manager bei Believe Digital und entkräftigt im Gespräch einige Vorurteile. Wer Oliver persönlich erlebt hat, weiß, dass er gerne spricht, also „Feuer frei“…

Julian Angel (J.A..): Beim Thema Streaming scheiden sich nach wie vor die Geister, speziell unter den Musikern. Die einen sehen es als Radio on Demand und damit als Werbemöglichkeit, andere fürchten, dass die ständige Verfügbarkeit ihrer Songs künftig sowohl Tonträgerkauf als auch den Download ablösen wird, und das bei minimaler Vergütung. Wo positionierst Du Dich?

Oliver Sittl (O.S.): Ich sehe es ebenfalls als Radio on Demand, aber damit nicht nur als Werbemöglichkeit, sondern als sehr wichtige Erlösquelle für Musiker, die ihre Masterrechte an den Aufnahmen behalten und natürlich Labels, deren Hauptjob ja die Auswertung von Musikaufnahmen ist.

Denn anders als beim „klassischen Radio“, das ja nichts für die Nutzung der Musikaufnahmen zahlt, diese also „gratis“ erhält, bis auf eine „homöopathische“ Dosis GVL, und nur den Komponisten und Textern über die Gema Lizenzen für die Nutzung zahlt, wird beim Audio Streamen ja der Löwentanteil der durch Abonnements und Werbung eingegangenen Gelder nutzungsbezogen an die Inhaber der Musikaufnahmen weitergereicht bzw. ausgeschüttet.

Julian Angel (J.A..): Richtig, an Radioeinsätzen haben bisher nur die Urheber, nicht aber die Interpreten verdient.

Oliver Sittl (O.S.): Das klassische Radio zahlt nichts vergleichbares, sondern verweist auf den angeblich ungeheuren Werbeeffekt, wenn etwas „im Radio läuft, der die Gratisbemusterung der Sender rechtfertigt. Aber auch das stimmt nur noch mehr begrenzt.

Erstens gab es schon immer Titel, die „niemandem wehtun“, aber auch keinen Kaufimpuls auslösen. Diese Songs zum nebenher Hören waren sehr beliebt beim Radio, weil diese das wichtigste Kriterium für das Radio überhaupt erfüllen, nämlich, dass sie zu keinem spontanen Senderwechsel führten. Wie intensiv Musik erlebt wird, war dem Radio schon immer egal.

Der Musikbranche konnte dies nie egal sein, denn sie lebte schon immer von der Intensität der Beziehung zwischen Hersteller und Nutzer von Musik. Ich nenne nur die Stichworte Albumverkäufe, Boxen-Sets, Video-DVDs, Merch, Konzertbesuch etc.

Zweitens muss man auch den sogenannten Promoeffekt relativieren. In seiner unerträglichen Arroganz hat das klassische Radio es ja noch nicht einmal für nötig gefunden, die hart erkämpften Radio-Plays, wenn sie denn tatsächlich mal für neues Repertoire zustandekamen und nicht „sicherer“ Back-Katalog abgespult wiurde, im Radio entsprechend zu nennen bzw. anzukündigen. Die Praxis ist ja eher so: Unbekanntes, Neues möglichst nicht erwähnen und verunsicherte Hörer mit der grandiosen Ankündigung binden, dass demnächst „Summer of 69“ von Bryan Adams im Programm zu hören sein wird…

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Julian Angel (J.A..): Oh ja, das ist ein leidiges Thema, sowohl für Hörer als auch für Musiker und damit für die gesamte Musikbranche.

Oliver Sittl (O.S.): Hingegen liefern Streamingdienste jederzeit perfekte Informationen zu Künstlern und Titeln, denen man sofort über das Internet nachgehen kann, um mehr dazu zu erfahren. Diese Tiefe bietet das klassische Radio nicht. Und genau diese Möglichkeiten, diese Tiefe und Intensität wird dazu führen, dass die aktiven Musiknutzer immer mehr vom Radio zu Streaming wechseln werden und dem Radio nur noch die passiven, uninteressierten Hörer bleiben. Eine Abwärtsspirale, die das klassische Radio immer unrelevanter machen wird.

Und  noch etwas kommt hinzu: Es gibt bei Streaming keine Formatgrenzen, keine selbstauferlegte Begrenzung des Repertoires, welches ja das klassische Radio so eindimensional, so langweilig, da absolut überraschungsfrei gemacht hat. Die Zeiten, in denen in der Jugendsendung „Club 16“ des BR eine Stunde Jimi Hendrix oder Led Zeppelin am Stück zu hören waren, sind ja nun schon eine Ewigkeit vorbei…

Streaming-Playlisten hingegen sind ein idealer Weg, neues Repertoire Kennen zu lernen, oder eben eine Stunde Jimmy Hendrix oder Led Zeppelin intensiv am Stück zu hören, wenn man diese historischen Figuren sich mal näher anhören möchte. Und der Algorithmus schlägt auf der Basis dieser Nutzung dann lauter neue Künstler vor, die irgendetwas Hendrix oder Led Zeppelin zu tun haben und von denen man bis dato nichts wusste…

Julian Angel (J.A.): Nun geht aber dennoch unter Musikern und Labels eine gewisse Angst um, und ich finde, sie ist berechtigt, dass Streaming nicht nur das Radiohören ablöst, sondern auch den Verkauf von Tonträgern und Downloads. Kannst Du ihnen diese Angst nehmen?

Oliver Sittl (O.S.): Das schönste ist, dass Streaming nicht andere Nutzungsformen kannibalisiert, sondern im Gegenteil sogar zu mehr Geldausgaben für Musik bis hin zu höheren Vinylverkäufen führt. In unserm Label-CMS Believe Backstage kann man zudem sehr schön sehen, wie Streamingpeaks auch Downloadspitzen nach sich ziehen. Was beweist, dass Audio-Streaming wie einst das Radio durchaus zu Verkäufen führt.

Julian Angel (J.A.): Dann fasse doch bitte noch einmal kurz zusammen…

Oliver Sittl (O.S.): Streaming ist nicht nur eine radio-ähnlicher Musiknutzung, die endlich auch für das Abspielen der Aufnahme zahlt, sondern Audio-Streaming-Playlisten ermöglichen das Entdecken von neuer Musik, wie es im klassischen Radio schon Jahrzehntelang nicht mehr stattfindet. Zudem ist der Promoeffekt größer, weil Künstlername und Titel jederzeit angezeigt werden, bei Spotify sogar über Facebook die Nutzung an die Freunde weitergegeben werden kann, und dem Nutzer eine viel intensivere Beschäftigung mit Musik möglich ist. Schließlich kannibalisiert Streaming nicht andere Musiknutzungen, sondern befördert diese bis hin zum Besuch von Live-Shows. Folglich steht es drei zu null für Streaming, denn sowohl bei der Geldleistung für Musikaufnahmen-Nutzung, beim Musikkonsum insgesamt, sowie beim Promoeffekt liegt Streaming vorn.

Vielen Dank an Oliver für seine ausführlichen Schilderungen. Ich plane ein weiteres Interview mit Oliver zum Thema Playlisten Marketing…

 

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Über Julian Angel

Julian Angel ist chartnotierter Rockmusiker mit Hollywood Filmmusik Credits, Eventproduzent und Organisator der MusicBiz Madness Konferenz, Deutschlands erster Musikbusiness Konferenz für Musiker.
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