Ist Streaming wirklich die Lösung für Dich?

Streaming ist längst nicht nur beim Radio on Demand geblieben, wie man die Kreativen lange Zeit zu beschwichtigen versuchte, sondern es mausert sich zur primären Methode, Musik zu konsumieren, die bisherige Formate obsolet erscheinen lässt. Aber ist es wirklich so?

Streamen wirklich alle und gibt es abseits überfüllter Plattformen noch Wege, Musik zu verkaufen? Lasst uns in gewohnt ketzerischer Manier der Sache auf den Grund gehen.

Ja, Musiker sollten mit ihren Songs überall vertreten sein, somit auch auf den bekannten Streamingportalen. Vielleicht werden sie entdeckt, häufig abgespielt und am Ende könnte ja ein interessierter Hörer sogar ein greifbares Album kaufen. Immerhin generieren physische Alben mit digitaler Präsenz rund 60% mehr Verkäufe.  Doch hier stehen viele vor einem Problem:

Viele Musiker lassen gar keine physischen Tonträger mehr herstellen, da ihnen das wirtschaftliche Risiko zu hoch ist. Dabei sprechen wir hier von hochpreisigen Produkten mit sehr hoher Verkaufsmarge. Je nach Kosten der gesamten Produktion und ob die Scheibe direkt oder über einen Händler verkauft wird, ist an nur einer einzigen Longplay CD ein hundertfaches davon verdient als wenn jemand das komplette Album lediglich streamt.

Daraus leitet sich ab, dass an einem einzigen Albumkäufer mehr verdient ist als an ein paar hundert Albumstreams. Folglich stellt sich die Frage, was davon leichter umzusetzen ist – einen einzigen Fan zum Kauf eines Tonträgers zu bewegen oder hunderte von Konsumenten zum Streamen des ganzen Albums zu animieren.

Nun mag man dagegen argumentieren, dass ein Album auch mehrmals vom gleichen Hörer gestreamt werden kann und sich die Einnahmen dadurch erhöhen. Es bleibt jedoch die Aufgabe, diesen Hörer letztlich immer wieder zum Anhören zu überzeugen, während ein Tonträgerverkauf final ist, unabhängig davon, wie oft der Käufer das Album dann anhören wird.

Bei der letzten Gesellschafterversammlung sagte Spotify Gründer Daniel Ek, dass 30% des Spotify Konsums auf Playlisten und Algorithmen zurückzuführen wäre. Demnach liegt die Chance für die ohnehin schon selten bis gar nicht gespielten Selbstvermarkter, automatisch und ohne eigenes Zutun von Fans durch reine Empfehlung des Systems gefunden zu werden gerade bei mageren 30 von 100.

Woher die übrigen 70% kommen, wollte Ek nicht sagen, es bleibt aber die Vermutung, dass es sich um direkte Suchanfragen und von den Musikern selbst zu Spotify geschickte Hörer handelt.

Ob Albumverkauf oder Streaming, in beiden Fällen stehen Musiker also vor der gleichen zeitaufwendigen Aufgabe: Menschen zu erreichen, zu überzeugen und wohin zu schicken, sei es in den Onlineshop oder zu einem Streamingportal.

Um herauszufinden, ob es sich nun tatsächlich lohnt, dem Tonträgerverkauf lebewohl zu sagen und sich ganz dem Streaming zu widmen, müssen wir das berücksichtigen, was in sehr vielen Studien und Marktanalysen leider fehlt – die Musikrichtung.

So erweist sich Hip Hop als Festung des Streamens, so dass nahezu alle – größeren – Undergroundrapper ihre Musik nur noch single-weise per Stream veröffentlichen. Heavy Metal hingegen stellt immer noch das große physische Bollwerk dar, die meisten Metalbands berichten von rund 80% physischem Verkaufsanteil. Hinzu kommt, das speziell Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor stark von physischen Musikkäufen geprägt ist.

Laut einer MIDiA Studie nimmt Streaming zwar stark zu, lag aber 2017 mit 7,4 Milliarden US-Dollar Umsatz noch deutlich unter der Hälfte des gesamten weltweiten Umsatzes für Recorded Music (17,4 Milliarden Dollar). Sich jetzt mit der Funktionsweise von und dem Marketing über Streamingportale zu befassen ist durchaus klug – heute aber schon dem Hype zu verfallen und alles andere gänzlich fallen zu lassen, ist wirtschaftlich gesehen dumm.

Aber die Hypemaschine rennt auf Hochtouren. Mit Angeboten im Sinne von „100 Tricks, um mit Streaming reich zu werden“ ködert man Musiker, insbesondere vor dem Hintergrund, dass digitale Veröffentlichungen bei weitem nicht so teuer sind wie physische und somit das finanzielle Risiko nahe Null geht.

Inzwischen scheinen die ersten Musiker auch derart verblendet zu sein, dass sie am Merchandise Stand einem potentiellen Fan statt der CD oder des T-Shirts lieber den QR-Code zur eigenen Playlist unter die Nase halten.

Nun sage ich noch einmal, dass Streaming per se nichts böses ist. Ja gut, die Anbieter hätten von den Konsumenten von vornherein mehr Geld für die Nutzung der Dienste verlangen sollen, um die Kreativen besser bezahlen zu können und nicht selbst Jahr für Jahr rote Zahlen schreiben zu müssen (letzteres ist für mich ein Zeichen, dass das Geschäftsmodell nicht wirklich aufgeht). Aber solange es Menschen gibt, die CDs und schwarze Scheiben aus Vinyl kaufen… schauen wir uns exakt diese Spezies einmal genauer an.

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Dazu stellen wir kurz Konsumenten („ich hör’ alles was in den Charts ist und im Radio läuft und lache in ein paar Jahren darüber“) und Musikliebhaber („ich höre eine ganz bestimmte Stilrichtung, die sich auch in meiner Lebenseinstellung widerspiegelt“) gegenüber.

Für den Konsumenten ist Musik ein Konsumgut (um das böse Wort „Wegwerfprodukt“ zu vermeiden). Der Liebhaber sieht in Musik dagegen mehr, offenbar auch ein materielles Gut, zumindest aber einen handlichen Informationsträger mit Booklet, Bildern und Texten. Er ist stolz auf seine Sammlung wie ein Professor auf sein Bücherregal. Es gibt Musiksammler, die über 100 Euro für eine inzwischen vergriffene CD ausgeben – obwohl sie die digitale Version längst auf ihrem iPod haben.

Menschen mit solch starker Musikaffinität sollten die erste Zielgruppe für selbstvermarktende Musiker sein. Und das aus dem guten Grund, dass sie günstiger zu erreichen sind und mehr an ihnen verdient ist als an ordinären Konsumenten.

Jene Menschen halten die Untergrundszenen am Leben. Sie besuchen kleine Konzerte, lesen Fanzines, besuchen stilistisch klar definierte Musikblogs und stöbern in Onlineshops, die jene Musik anbieten, die niemals ihren Weg in die Elektrofachmärkte finden würde – und das alles befreit vom definitiv vorhandenen Clutter der Streamingportale.

Ist diese Zielgruppe erst einmal erfolgreich erschlossen, käme für mich Streaming ins Spiel, nämlich um die bisher unentschlossenen Hörer bedienen zu können. Vielleicht lässt sich noch der eine oder andere zum Kauf eines hochpreisigen Tonträgers bewegen. Alle anderen mögen zwar kein Album kaufen, liefern aber noch ein Bisschen Geld, das ich getrost als Nebeneinkommen bezeichnen würde, indem sie hin und wieder ein paar meiner Songs anhören.

Aus der Erfahrung von sechs in Eigenregie veröffentlichten Alben (absolute Nischenprodukte) kann ich berichten, dass es hinsichtlich Zeit, Aufwand und Kosten bisher immer ertragreicher gewesen ist, um CD-Käufe zu werben als um Streams.

Also, so lange da draußen Menschen teure Tonträger kaufen, sollte der Fokus des eigenen Marketings auf dieser kaufenden Zielgruppe liegen. Streaming sollte dennoch niemand vernachlässigen. Vor dem Hintergrund wachsender Marktanteile ist es dringend sinnvoll, sich mit den Mechanismen dieser Technologie sowie den möglichen Marketingmaßnahmen zu befassen. Nur einem Wahn sollte niemand verfallen, nur weil man sich 500 Euro für eine CD Pressung sparen kann. Und dann liegt es schließlich an den nischenspezifischen Beobachtungen jedes einzelnen, ob und wann die eine Sache lukrativer wird als die andere.

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Über Julian Angel

Julian Angel ist chartnotierter Rockmusiker mit Hollywood Filmmusik Credits, Eventproduzent und Organisator der MusicBiz Madness Konferenz, Deutschlands erster Musikbusiness Konferenz für Musiker.
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