Wie gut muss eine Musikproduktion sein?

„Cooler Song, den müsste man nur mal ordentlich produzieren“. „Du brauchst eine amtliche Produktion, damit Du im Radio gespielt wirst“. „Lieber zwei geil produzierte Songs als zehn Eigenproduktionen“. Beliebte Verkaufstaktiken, die nur zu gerne bei ungesignten Musikern angewandt werden. Doch haben die „Verkäufer“ auch Recht? Müssen ungesignte Musiker wirklich mit den Nickelbacks und Katy Perrys da draußen mitstinken? Ist gerade heute nicht alles erlaubt? Und wäre das Geld anderweitig besser investiert?

Anything goes
Gerade heute, da wir bekanntlich nahezu unbegrenzten Zugriff auf so viel Musik haben, werden unsere Ohren, und damit auch die Ohren unserer Fans, mit derart unterschiedlichen Produktionsstilen und Klangqualitäten konfrontiert, dass es schwer fällt, einen wirklichen Standard festzustellen. Über einer Produktion im Stile des 50er Jahre Elvis oder dem strikt getrennten Stereobild der Beatles würde jeder Besitzer eines Dorfstudios heute die Hände über dem Kopf zusammenschlagen – dennoch wird diese Musik gekauft, gehört und von den Radiosendern gespielt. Insbesondere der Alternative und Independentbereich wartet mit einer klanglichen Vielfalt auf, die Grenzen nahezu unsichtbar macht: Garagensound der White Stripes, das knalltrockene Gossip Album, viel zu dünn klingende Drumloops aus den 40er Jahren, nicht zu vergessen die Electronic Klangtüftler, die Sounds fernab des Chart Mainstream erzeugen.

…und die Fans lieben es
Viele Musiker stehen ohne Plattenvertrag da, nicht etwa weil sie zu schlecht sind, sondern weil sie Musik machen, für welche die großen Plattenfirmen aktuell kein Interesse zeigen. Wir spielen Jazz, Art Rock, Hair Metal, Old School Rap, Rockabilly, Flower Power, Minimal House – kurz: Spartenmusik. Musik, die von Menschen gehört wird, die ihren eigenen Geschmack jenseits der Major Maschinerie entwickelt haben. Musikliebhaber und Sammler. Fans, die ungesignten Musikern und Raritäten nicht nur eine Chance geben, sondern gezielt nach ihnen suchen.

Begründet wird das mit Authentizität und echten Emotionen. Musik, so wie sie den Musikern selbst gefällt, ohne zwangsauferlegte kommerzielle Elemente oder Klangpolitur. Electrosounds ohne den obligatorischen Shalala-Ohrwurm, Progressive Rock so komplex, dass ihm kein Radiohörer mehr folgen kann oder Acapella Songs mit Texten, die seit über 80 Jahren keine Relevanz mehr zu haben scheinen. Doch es gibt sie, zum Glück, jene Fans, die es genau so echt, so ungeschliffen und so ursprünglich mögen – ich meine, lieben. Und gerade diese Fans „verzeihen“ eine Eigenproduktion nicht nur, sie wissen sie sogar zu schätzen.

Qualtität muss sein
Keine Frage, eine gewisse Qualität muss eine Produktion aufweisen können. Transparent sollte sie sein, nicht brummen, nicht dröhnen und nicht klirren. Ein ausgewogenes, professionelles Klangbild also. Ob aber das Schlagzeug einer Metal Band nun klingt wie die Maschinengewehre aktueller Produktionen oder eher wie ein „echtes“ Drumset, ob die Synthies genau so fett herüber kommen wie bei Dr. Luke’s Produktionen, die Gitarren weiter vorne oder weiter hinten im Mix stehen – ganz ehrlich, all das ist zweitrangig.

Wie im letzten Gastbeitrag auch schon Carlos von delamar.de zu Gesangsaufnahmen geschrieben hat – sinngemäß – geht es in erster Linie um Emotionen, des weiteren interessiert sich ein Hörer wenig bis gar nicht dafür, in welches Mikro der Sänger aus welcher Entfernung gesungen hat.

Produktionskosten vs. Nutzen
Ich mag niemanden davon abhalten, ein amtliches Studio von innen zu sehen, schließlich haben sie alle – nun ja, fast alle – ihre Berechtigung. Auch das Preis-Leistungsverhältnis stimmt in den meisten Fällen. Doch in welchem Verhältnis stehen Preis und Nutzen für Musiker, die sich selbst vermarkten?

Viele Bands, die bei kleineren Indie-Labels unter Vertrag stehen, erreichen keinen Break-Even. Die Bands lassen auf eigene Kosten produzieren und lizenzieren die fertigen „Bänder“ an das Label. 1.000 bis 3.000 Einheiten werden verkauft, da kann es knapp werden. Ich habe einige solcher Geschichten gehört. Die Bands geben zwar zu, dass für sie der Spaß und das gesamte Erlebnis im Vordergrund stehen (das ist auch legitim), am Ende zahlen viele von ihnen aber drauf.

Wenn man einer vom US-Vertrieb CD Baby veröffentlichten Statistik glaubt, verkaufen ungesignte Musiker von jedem Album im Schnitt – Achtung – 100 Exemplare. Einhundert. Wenn also pro Albumkauf nach Steuern zehn Euro übrig bleiben, dürfte die gesamte Produktion nicht mehr als 1.000 Euro kosten, darin sind aber schon die Pressung und ggf. das Mastering enthalten. Letzteres empfehle ich übrigens, tatsächlich von einem Profi machen zu lassen.

Gerne produzieren Musiker eine EP mit vier oder fünf Songs in einem amtlichen Studio. Wenn nicht gerade der Spaß im Vordergrund steht, sehen die wirtschaftlichen Aussichten eher düster aus: Die Herstellung einer EP kostet in einem Presswerk genau so viel wie ein komplettes CD Album, verkaufen lässt sich das Stück aber nicht zum vollen (Album)preis. Wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, ein komplettes Album mit zehn oder mehr Songs in Eigenregie aufzunehmen und damit ein fertiges Produkt am Start zu haben, das sich bei gleichen Herstellungskosten zum vollen Preis verkaufen lässt? Ein Teil der gesparten Studiokosten könnte dann für Promotion eingesetzt werden.

Fazit
Eine gewisse Grundqualität muss eine Musikproduktion aufweisen können. Lautstärkenverhältnisse, die Auswahl der Sounds und der Einsatz von Effekten spielen eine eher untergeordnete Rolle. Hauptsache, der Song ist gut. Fans von ungesignten Bands schätzen ebenso den ungesignten Sound. Es erscheint wirtschaftlich sinnvoller, mit viel Mühe und Fleiß selbst zu produzieren. Denn auch mit nur 70-80% der von den „großen“ vorgegebenen Soundqualität sind wir absolut wettbewerbsfähig – in den Medien, im Radio, in den Shops, natürlich bei den Fans und nicht zu vergessen auch live auf der Bühne, wo wir schließlich auch nicht mit Monsterbauten aufwarten, das Publikum aber dennoch mitreißen können.

Zum Schluss noch ein Zitat von Eddie van Halen, das vor vielen Jahren in einem deutschen Musikmagazin in fetter Schrift abgedruckt wurde:

„Einen Scheißhaufen kannst Du nicht aufpolieren. Der Song muss von Anfang an da sein.“

Ich hoffe, etwas Mut gemacht zu haben.

– Julian Angel

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Über Julian Angel

Julian Angel ist chartnotierter Rockmusiker mit Hollywood Filmmusik Credits, Eventproduzent und Organisator der MusicBiz Madness Konferenz, Deutschlands erster Musikbusiness Konferenz für Musiker.
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